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Der Traum vom großen Bild - Warum es junge Fotografen in Kriege zieht

Es war der kürzeste Weg zum Erfolg. Etwa so erklärt der britische Fotograf Don McCullin in einem Gespräch mit dem ZEIT-Reporter Peter Sager seine Entscheidung, mit der Kamera in den Krieg zu ziehen: „Ich wollte auf die große Bühne, als Fotograf international bekannt werden.“ Dabei war McCullin durch seine Portraits und Sozial-Reportagen, die im Observer erschienen, in England schon ein anerkannter Fotoreporter. Aber das reichte dem Mann aus Finsbury Park nicht, einem heruntergekommenen Viertel im Norden Londons. Hier war er in ziemlicher Armut groß geworden und hatte die übliche Getto-Karriere durchlaufen, war Mitglied einer Straßenbande und häufig in Schlägereien verwickelt. Ausgerechnet der elegante, weltgewandte und intellektuell gebildete Robert Capa, Mitbegründer der legendären Agentur MAGNUM und in den Augen vieler der Kriegsberichter aller Kriegsberichter, wurde McCullins Vorbild. Capa war 1954 in Vietnam auf eine Mine getreten und dabei ums Leben gekommen. Das Vakuum, das Capas Tod in der Fotografenszene hinterließ, wollte Don McCullin füllen. Immer wieder, so berichtet er Peter Sager, stellte er sich vor einen Spiegel und sagte zu sich selbst: „Eines Tages bist du wer!“

Ein Einzelfall? Zieht man den unbedingten Willen des Getto-Jungen zum Aufstieg einmal ab, dann bleibt die Überzeugung des jungen McCullin, dass der Krieg das fotografische Potential besitzt, einen Fotografen mit den richtigen Fotos schneller – also sozusagen auf dem Abkürzungsweg – bekannt und vielleicht berühmt oder gar unsterblich zu machen, als es die Fotografie des Alltags und der unspektakulären Motive zuhause vermag. 

 „Fotografieren bedeutet teilnehmen an der Sterblichkeit, Verletztlichkeit und Wandelbarkeit anderer Menschen“, schreibt die amerikanische Essayistin und Schriftstellerin Susan Sontag, die sich in ihren Büchern „Über Fotografie“ und „Das Leiden anderer betrachten“ intensiv mit der Krisen- und Elendsfotografie beschäftigt hat. Denn nirgendwo sonst offenbart sich der Mensch in seiner ganzen Grausam- und Menschlichkeit so sehr wie im Krieg. Nirgendwo sonst liegen Gefühle so dicht und radikal nebeneinander. Nirgendwo sonst treten sie so häufig und offen in ihrer extremsten Form auf: Verzweiflung, Trauer, Leid, Verletzlichkeit, Hoffnung, Glück, Mitgefühl, Solidarität. „Ein Krieg verdichtet extreme Emotionen in einer einzigen Situation“, glaubt auch der 23-jährige Fotostudent Christian Werner, den die Fotografie in Krisenszenarien deshalb fasziniert. Der ideale Stoff also für die Jagd nach dem Jahrhundertbild, der visuellen Ikone, die einen in einer 1/125tel-Sekunde in die Hall of Fame des Fotojournalismus katapultiert? 

Ganz so einfach ist es nicht mehr. Denn seit McCullins Erfolgsgeschichte, die 1964 mit seinen Bildern vom Bürgerkrieg auf Zypern und dem Gewinn des World Press Photo Award begann, sind 47 Jahre vergangen. Jahrzehnte, die Kriegsführung und die Medienlandschaft gravierend verändert haben. Es ist lange her, als die Erkenntnis von Bill Gates, wonach wer die Bilder, auch die Köpfe beherrscht, noch nicht Allgemeingut war. Damals mussten die Kriegsherren erst noch lernen, dass Bilder die kriegsbegeisterte Stimmung eines Volkes schnell verändern können. Und so änderten sie nach Vietnam ihre Strategie. Fortan stellte man Kriegsberichtern für deren Arbeit nicht so mir-nichts-dir-nichts die eigene Infrastruktur zur Verfügung und ließ sie frei agieren. Vorbei sind die Zeiten, als wie im Vietnamkrieg selbst Studentenzeitungsredakteure einen Helikopter-Freiflug an die Front bekamen, von der Armee verpflegt und untergebracht wurden. Heute will man die kontrollierte Berichterstattung. Die Armeen erfanden den „embatted journalist“ und den Journalisten-Pool. Wer sich nicht einreiht, der muss selbst sehen, wie er an die Schauplätze des Geschehens kommt. „Das Wichtigste ist, dass der Feind nicht das Monopol auf die Bilder haben darf“, erklärt Jamie Shea, ehemaliger Nato-Sprecher, die Medienstrategie der Militärs. Die wissen laut der Journalistin Astrid Frohloff („Der Krieg in den Medien“) nämlich längst, „dass Kriege an der Front gekämpft, aber zu Hause gewonnen werden“. Und die Bilder in Zeitungen, Zeitschriften und im Fernsehen sind es, die mitentscheiden, wer den Krieg in den Wohnstuben gewinnt. Das wissen auch die Diktatoren, Schlächter und Massenmörder dieser Welt. Da sie die ausländischen Medien nicht in dem Maße kontrollieren und beherrschen können, wählen sie eine andere Strategie. Regelrecht Zielobjekte sind Fotografen, Kameraleute und Journalisten mittlerweile für ihre Soldaten, Söldner, Freischärler und Milizen. Allein im Jahre 2010 sind 57 Journalisten während ihrer Arbeit getötet worden. 

Auf dem Weg zur Kriegsbild-Ikone stehen dem jungen Kriegsfotografen viele Probleme im Weg. Hinzu kommt, dass die Bildstrecken, die sich Kriegen und Konflikten widmen, immer rarer werden. Und um diese wenigen Zeitungs- und Zeitschriftenseiten streiten sich schon jetzt in einem harten Wettbewerb ein paar Dutzend der besten und ausgebufftesten Kriegsfotografen der Welt. Und selbst die können zum Teil schon nicht mehr von ihren Auftrags- und Veröffentlichungshonoraren leben. Das geringer werdende Einkommen aus Bildhonoraren und Assignments müssen sie immer häufiger mit Workshop-Honoraren kompensieren. 

Auch diese ernüchternden Fakten halten Fotografen nicht davon ab, von der Krisenfotografie zu träumen. Die Informationen, denen die Träume junger Fotografen zugrunde liegen, stammen zumeist aus zweiter Hand: Filme, Reportagen, Bücher, Artikel und Dokus über die ganz großen der Kriegsfotografie, die wie James Nachtwey schon fast Popstars der Krisenfotografie sind. Christian Frei´s Film „War Photographer“ über Nachtwey wird dann auch häufig von jungen Fotografen als Quelle ihres Wunsches und Wissens über die Kriegsfotografie genannt. Auch „The Bang Bang Club“, ein Spielfilm über die südafrikanischen Fotografen Ken Osterbroek, Greg Marinovich, Kevin Carter und Joao Silva wird der Faszination der Krisenfotografie weiter Nahrung geben. Obwohl Ken Oosterbroek bei einem Schusswechsel 1994 starb, Kevin Carter sich das Leben nahm und Joao Silva im Einsatz in Afghanistan beide Beine verlor. In dem Film sieht man die Protagonisten saufen und kiffen, Frauen abschleppen und am nächsten Morgen mit vernebeltem Kopf in das brennende Township ziehen, ein paar Mal auf den Auslöser drücken, noch schnell einen Heckenschützen mit riskantem Geknipse herausfordern und dann zurück in die sichere Redaktion. Der Krieg als Abenteuerspielplatz für große Jungs?! 

Solchermaßen illusioniert werden sich wohl auch zukünftig junge, abenteuer- und erfolgssüchtige Fotografen völlig unvorbereitet durch das Inferno von Granateneinschlägen und Maschinengewehrfeuer bewegen, wie es Kai Wiedenhöfer, einer der erfahrensten und meistprämierten deutschen Krisenfotografen, immer wieder erlebt. Ohne Helm und Schutzweste, ohne Quick Clot zur effektiven Blutstillung, oder zumindest einfaches Verbandsmaterial und ohne jegliches Wissen um die realen militärischen Gefahren ihres Arbeitsfeldes und den Umgang damit. Nur wenige von ihnen sind gut vorbereitet, sprechen wie Kai Wiedenhöfer gar die Sprache des Landes oder haben sich bei der Bundeswehr in Hammelburg auf einen Einsatz im Krieg trainieren lassen. Ihr „Learning on the Job“ kann gut gehen, aufgrund des Risikos aber auch schnell tragisch enden. 

„Wir versuchen, das perfekte Bild zu bekommen - und überschreiten dabei oft die Grenze des gesunden Menschenverstands“, sagt auf SPIEGELonline der deutsche Fotograf Marcel Mettelsiefen, 33, der acht Tage lang in Misrata fotografierte, einem der gefährlichsten Schauplätze des Krieges in Libyen. Hier starben die Fotografen Tim Hetherington und Chris Hondros. „Ich hätte viermal sterben können“ zitiert SPIEGELonline den Fotografen in der Überschrift. Man kann sich generell fragen, ob ein paar Fotos es Wert sind, dafür sein Leben zu riskieren. Legt man aber den Gedanken zugrunde, dass es Menschen geben muss, die uns in unseren Wohnstuben das Leid der anderen vor Augen führen, dann bleibt dennoch die Frage, und das ist alles andere als zynisch gemeint, ob sich für viele der gemachten Bilder das Risiko gelohnt hat? 

Denn so klischeehaft wie die Vorstellungen junger Fotografen von der Wirklichkeit der Kriegsfotografie sind, so oberflächlich sind häufig auch ihre Kriegsillustrationen, mit denen die Archive der Agenturen gefüllt sind: Sniper, Freiheitskämpfer mit Maschinenpistolen - mal feuernd, mal im Siegestaumel schwenkend - ausgebrannte Häuser und Autowracks. Vom Leid der Menschen und der Anteilnahme des Fotografen ist darauf nicht viel zu sehen. „Viele Fotografen bilden den Krieg lediglich als aktuelles Ereignis ab“, sagt Kai Wiedenhöfer, „nicht aber seine Resultate, die ja eigentlich viel mehr transportieren. Ihre Bilder sind vielfach geprägt durch unsere heutige Bilderwelt, der Einbettung in militärische Einheiten, von Hollywood-Action und der Romantisierung des Krieges.“ 

Es wäre sicher ungerecht, würde man die Motive der jungen Kriegsfotografen lediglich auf die Suche nach der Kriegbild-Ikone reduzieren, die einen schlagartig berühmt macht. „Wie viele junge Fotografen war ich fasziniert von der Idee, Weltgeschehen selbst miterleben zu dürfen und bedeutende politische und soziale Veränderungen zu dokumentieren“, erklärt der deutsche Fotograf Christoph Bangert, 33, der schon in mehreren Krisenregionen des nahen Ostens fotografiert hat, seine Motivation. Ein Studentenaustausch mit einer israelischen Fotoschule hat ihn erstmals nach Gaza und ins Westjordanland geführt. Bangert gibt aber zu, dass die Faszination des Thrills auch ein Motiv für ihn war: „Das Arbeiten in gefährlichen Situationen hat mich gereizt.“ Neben dem journalistischen Interesse, der Aussicht auf das überragende Bild und dem Reiz der Gefahr zieht es auch immer wieder junge Fotografen aus politischer oder humanistischer Weltanschauung in Krisenregionen. Sie halten es mit der einen Kriegspartei, sind gegen die andere oder wollen die Welt mit aufklärenden Fotos ein Stück besser machen. 

Seit dem Erscheinen seines Buches „Iraq – Schweigendes Land“ und ausgestattet mit Aufträgen von New York Times oder stern gehört Christoph Bangert zu dem Tross der Fotografen, der sich an fast jedem Krisenherd auf der Welt beim Fotografieren trifft: Tsunami in Japan, Krieg in Afghanistan und Irak, Unruhen in Palästina, Bürgerkrieg im Chad. „Unsere Kriegsfamilie“ nennt es der 28-jährige Schweizer MAGNUM-Fotograf Dominic Nahr. In dieser Formulierung deutet sich eine Kumpanei unter den Kriegsberichtern an, die in Grenzerfahrungen und Lagerleben geschmiedet wurde und die – welch Ironie – der Soldatenkumpanei gar nicht unähnlich ist. Dieses Leben sorgt für unzählige Adrenalinschübe und ist so fern der langweiligen Alltagsprobleme zuhause, das es einem wesentlich elementarer erscheint und damit leicht zu einer Art Droge wird, ohne die man nicht mehr auskommt. 

 Was aber kommt danach? Wenn einen zuhause die Dämonen all dessen heimsuchen, was man auf den Kriegsschauplätzen erlebt hat. „Wenn ich mich fürchten würde, dass dies meine Psyche verändern oder kaputtmachen könnte, bevor ich jemals so eine Situation erlebt haben sollte“, meint Fotostudent Christian Werner, „dann sollte ich es lieber gleich lassen.“ Don McCullin ist einer, der es wissen muss. „Ich will nicht mehr erleben, wie eine weinende Frau aus dem Fixierbad auftaucht, ein Mann mit einem toten Kind, ich will diese Bilder nicht mehr aufsteigen sehen und mit meinen Händen in der Dunkelkammer berühren“, sagt er im Gespräch mit Peter Sager. „Die Seelen und die Geister der Menschen, die ich fotografiert habe, sind hier im Haus, in diesen Archivschränken. Nachts, wenn die Fantasie Amok läuft, ist jener Teil des Hauses dort wie Dantes Inferno.“  

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